Das Projekt Gastkirche

Zeichen der Zeit

Als die erste Phase des Pfarreientwicklungsprozesses, also die Phase des „sehens“ beendet war, wurde dieser Standort in Kray für St. Barbara als ideal empfunden, um hier eine Sozialkirche entstehen zu lassen, als eine Art sozial-caritatives Zentrum und zugleich liturgischer Raum - mitten in Kray. 

Und ja, auch wenn dies erst einmal mit vornehmer Zurückhaltung entgegengenommen wurde, war aber bald jedem hier klar, dass diese Einschätzung schon richtig, ja gerechtfertigt war. 

Also hieß es jetzt, den Gremien und Gruppierungen und schließlich der ganzen Gemeinde nicht nur davon zu berichten, sondern sie davon zu überzeugen, dass die Idee einer „Sozialkirche“ eine große Chance für unsere Gemeinde, für den Stadtteil, ja eigentlich für die Kirche an sich ist. Schnell bildete sich eine Projektgruppe, die seitdem an einem Konzept denkt und arbeitet, wie man das spirituelle Gemeindeleben und eine Fürsorge für sozial schwache Menschen, Menschen in Not, am Rande der Gesellschaft miteinander verbinden kann. 

Das Wort „Sozialkirche“ hatte jedoch für den ein- oder anderen einen negativen touch, mit dem man sich nicht identifizieren wollte. Also überlegten wir; 

und als wir uns während unserer ersten Schritte eine Gastkirche in Recklinghausen ansahen, war sofort jedem klar: „Gastkirche“ ist ein wirklich zutreffender Name für die Art Kirche, die wir sein wollen. 

Eine Vision entsteht

Gastkirche – das signalisiert, dass man willkommen und gewünscht ist, egal aus welchem Kulturkreis, egal aus welchem sozialen Umfeld man kommt, egal ob arm oder reich, jung oder alt, homo oder hetero, Hartz 4 oder Millionär. Jeder soll hier einen Anlaufpunkt finden, sei es um zu beten, um Gottesdienst zu feiern, sich auf einen Kaffee mit der Freundin treffen, um Kulturelles oder Intellektuelles zu genießen, um sich in eine Leseecke mit einem Buch zurückzuziehen oder um die dt. Sprache zu erlernen, Hilfe und Beratung in allen Lebenslagen zu bekommen, einen Gesprächspartner anzutreffen, der zuhören kann, der Ratgeber sein kann. Menschen, die ihren Alltag nicht mehr regeln können oder Menschen, die in finanzielle Not geraten sind, sollen sich hier an – und ernstgenommen fühlen, sollen hier Nächstenliebe erfahren dürfen.

Beginnen und hoffen

Wir wollten nicht abwarten, bis ein Umbau genehmigt, bewilligt oder finanzierbar geworden wäre, wir wollten sofort beginnen. Die Idee, die Vision diese Art von Kirche möglich zu machen, das Evangelium von der Nächstenliebe nicht nur hier drinnen zu hören, sondern auch zu leben, setzte sich immer tiefer in unsere Köpfe , aber vor allem in unsere Herzen. Wir wollen die Türen öffnen, Schwellenängste abbauen, auf die Menschen zugehen, sie einladen, ihnen einfach etwas Gutes tun. 

Also dachten wir (damals noch mit Diakon Hillmann zusammen), dass ein Cafe in der Kirche eine einfache, realisierbare Möglichkeit ist, mit der „Gastkirche“ zu beginnen, den Menschen der Kirchengemeinde die Angst vor der Veränderung zu nehmen, und den Menschen, die Tore zu öffnen, die finanzielle, soziale und psychische Hilfestellung brauchen. 

Wir eröffneten das Cafe am ersten Adventsonntag des Jahres 2019 nach dem Gottesdienst. Kuchen wurde von Ehrenamtlichen gebacken und die Bäckerei Nefis Firin unterstützte uns auch dabei sehr großzügig mit Brot und Kuchen. 

Erstmal öffneten wir immer nur sonntags nach der hl. Messe, um die Kirchengemeinde ins Boot zu holen. Und siehe da, es wurde angenommen. Zuerst kamen nur ein paar und am 4. Adventssonntag freute man sich regelrecht schon auf Plätzchen und Kuchen nach der Messe, aufs Plaudern mit dem Pastor, oder dem Pfarrer, der uns auch besuchte, auf einen Kaffee in Gesellschaft. Wir erzählten von unseren Ideen voller Herzblut und die Gemeinde erwärmte sich für ein „Konzept“ „Gastkirche“. Auch die Gemeinde außerhalb der Kirche kam nach dem Gottesdienst, die „Damen und Herren der Strasse“, wie Diakon Hillmann sie nannte und sie wurden ganz selbstverständlich dazu gebeten. 

Ab Januar 2020 öffneten wir das Cafe an noch einem weiteren Tag in der Woche, um den hilfesuchenden Menschen eine warme Mahlzeit, sprich ganz einfach eine warme Suppe oder einen heißen Kaffee anbieten zu können. Alles wurde von Beginn an nicht verkauft, wir stellten ein Schweinchen auf und wer es konnte, gab uns eine Spende, von der wir wieder neue Lebensmittel kaufen konnten. Im März kam dann der Lockdown und dann ging erstmal nichts mehr…. 

Corona - und jetzt?

Was nun?? In dieser kurzen Zeit hatten wir doch schon erlebt, wie gut allein das Cafe angenommen wurde….jetzt wieder aufhören…kam für uns nicht in Frage. 

Die Idee eines Gabenzauns entstand und kurze Zeit später war alles abgesprochen mit dem Pfarrer, der sich da noch juristisch beraten hatte und wir legten los. Unsere gemeindeeigene Caritas unterstützt uns seitdem dabei, aber auch viele viele Privatpersonen, die uns immer wieder Gelder spenden, um Lebensmittel zu besorgen. 

Seitdem veranstaltet unsere Jugend mit uns halbjährlich eine Konservendosensammelaktion, die von vielen Menschen des Stadtteils und darüber hinaus unterstützt wird, hier ist besonders Edeka Abazza zu nennen, die immer wieder bei dieser Aktion ihr großes Herz zeigen. 

Dankbarkeit

Aus dem Gabenzaun wurde eine Essensausgabe zuerst 2x in der Woche. Die Menschen, die zu uns kommen, bezeugen uns immer wieder, wie dankbar sie sind und wie nötig eine solche gute Aktion ist. Wir haben so viele dankbare Worte erhalten in mündlicher als auch in schriftlicher Form, dass uns oft ganz warm ums Herz wird.

Schicksale und Geschichten

Was wir in den letzten Monaten auch am Zaun bemerkt haben ist, dass durch Corona und durch die stark steigenden Preise wegen des Ukraine-Krieges noch mehr Menschen auf unsere Hilfe angewiesen waren. Inzwischen kommen bis zu 30 Personen zu den Ausgaben. Sie können sich nicht vorstellen, wie das Bild von 30 wartenden Personen am Zaun aussieht, was das für eine Wirkung hat, wenn man da steht und Essen ausgibt und die Menschen mit ihren Problemen und Nöten kennenlernt. Die Menschen stehen dort, weil sie Hunger haben , weil sie nicht genug Geld zur Verfügung haben, vielleicht auch, weil sie nicht gut mit Geld umgehen können, da spielen viele Faktoren eine Rolle und jeder von ihnen hat eine andere Geschichte. Es sind Geschichten, die man aus dem Fernsehen kennt, aus der Zeitung, aus den soz. Medien, von Reportagen, es sind Geschichten von Menschen, die wir meist nicht kennen, die uns zwar irgendwie berühren, aber trotzdem immer weit weg sind. Hier aber, bei uns am Zaun bekommen diese Geschichten einen Namen, ein Gesicht. Diese Geschichten kommen von Menschen, die wir jetzt seit März 2020 kennen, die wöchentlich zu uns kommen. Es ist keine fremde Not mehr, sie ist mitten unter uns, in unserer direkten Nachbarschaft und sie berührt. 

Auch unsere lieben Helfer von der Kleiderkammer können von solchen Geschichten immer wieder berichten. In der Coronazeit, in der die Kleiderkammer nicht öffnen konnte, haben wir erst Kleider auf Bestellung in Tüten gepackt und ausgegeben. Dann haben wir 2 Kleiderständer in der Kirche aufgestellt, zusammen mit einem Büchertisch. Inzwischen ist unsere Kleiderkammer auch wieder geöffnet. 

Diese Menschen brauchen aber mehr als nur eine Tüte Kleidung und Lebensmittel, sie brauchen Zeit, ein offenes Ohr, einen guten Rat und Hilfestellung und sie wollen ernst genommen werden. All das wollen wir möglich machen.

Träume und Realität

Wir haben mit dem Architekten Hr. Tebruck aus dem Bistum mehrere Male gesprochen, und er ist auch mehrmals hier bei uns gewesen, um uns bei der Frage des Umbaus zu helfen. Und in Hr. Tebruck hatten wir vom ersten Kennenlernen an einen Menschen an unserer Seite, der sich nicht nur auf das Projekt eingelassen hat, sondern der uns seine Unterstützung angeboten und versichert hat. Dafür danke ich hier noch einmal ausdrücklich. Nach ersten Überlegungen was man alles machen könnte, was man sich alles vorstellen könnte, umbautechnisch gesehen, und wir hatten alles dabei: über die absolute Traumvorstellung, die sicherlich 1-2 Mio. kosten würde, eine abgespecktere Form, die immerhin noch gut die Hälfte des Betrags ausmachen würde, kamen wir letztendlich, nicht zuletzt durch Hr. Tebruck’s Initiative, zu einer absolut genialen Variante überein: 

Nämlich erst nur das Nötige umzubauen, was wir unbedingt zu einem Anlaufen unseres Projektes in der Kirche brauchen. Und das bezieht sich tatsächlich zunächst nur auf eine WC-Anlage und auf einen Wasseranschluß für das Cafe. 

Mit dieser ganz geringen Umbau-Variante könnten wir jetzt bald das Cafe wieder eröffnen und die Idee weiter ausbauen, Veranstaltungen verschiedenster Art anbieten, wie Lesungen oder Ausstellungen für die gesamte Gemeinde, Bildungsangebote wie Sprachkurse oder Nachhilfeunterricht ermöglichen, vielleicht auch schon verschiedenste Beratungsangebote möglich machen wie Schuldnerberatung, Suchtberatung u.v.m., aber auch soziale Projekte anbieten, wie z.B. eine Kindertafel. Nach diesem kleinen Umbau wollen wir eine 1 jährige Experimentierphase einleiten, sprich: wir wollen herausfinden, wie das Projekt angenommen wird, von den Menschen, die hier etwas anbieten wollen, von denen, die sich hier einmieten wollen, von denen, die die Angebote wahrnehmen wollen, von denen, die hier Hilfe suchen und von den Ehrenamtlichen, von denen der ganze Betrieb ja erst möglich gemacht wird. Nach einem Jahr spätestens werden wir realistischere Zahlen als zurzeit aufweisen können, mit denen man dann weitere Maßnahmen überlegen kann.

Partner und verwandte Seelen

Mit dem Stadtteilbüro, das am Krayer Markt seine Büroräume hat, haben wir in den letzten Monaten sehr gut zusammen gearbeitet. Hr. Schemeit und Fr. Kaebel, die dort arbeiten, haben mit unserer Projektgruppe gleich mehrere schöne und gute Aktionen in und um die Barbarakirche möglich gemacht. Viermal war das Impf-Mobil bei uns auf dem Kirchenvorplatz, um über die Corona-Schutz-Impfung zu informieren, sechsmal haben wir die Impfaktion direkt in der Kirche durchgeführt. Das war eine tolle Aktion, die sich wirklich gelohnt hat, für die Gesundheit und zum Schutz aller. Wir haben mit dem Stadtteilbüro und mit einigen Kitas in Kray einen Kleiderkreisel auf dem Kirchenvorplatz durchgeführt, weil die Erzieherinnen gemerkt haben, dass viele Kinder nicht wettergerecht gekleidet zur Kita kamen, kaputte Kleidung anhatten oder einfach auch nicht in der richtigen Größe. Wir haben mithilfe der Kitas, unserer Kleiderkammer und mit unserer köb einen Kleider- Spielzeug-und Büchermarkt auf die Beine gestellt, der so noch nie stattgefunden hat. Die Menschen, die sich einfach so bedienen konnten, waren sehr glücklich über dieses Angebot und auch über die Maßen dankbar. Einige kamen mit selbstgebackenen Plätzchen für die OrganisatorInnen und HelferInnen zurück und bedankten sich auf diese Weise. 

Diese Aktion findet nun 2x im Jahr statt. 

Unser Wunsch wäre, das Stadtteilbüro hier in die Kirche zu verorten, das wäre ein großer und wichtiger Schritt. 

Die Young Caritas hat unseren Kirchenvorplatz ebenfalls schon für einen Videonachmittag gegen Rassismus genutzt und die Rathausbücherei war auch schon hier im Kircheninnenraum und hat Geschichtenlesungen anboten.

Herzensangelegenheiten + Chancen

Die Idee einer „Gastkirche“, die ja gar nicht unsere eigene Idee war, sondern aus dem PEP heraus ins Votum geschrieben wurde, ist uns inzwischen zu einer Herzensangelegenheit geworden und wir sind allen dankbar, die sich im PEP dafür eingesetzt haben. 

Die Projektgruppe sieht in dieser Idee eine große Chance für den Stadtteil Kray, weil der Standpunkt der Kirche zentraler nicht sein könnte, hier direkt an der Einkaufsstraße, direkt an einer Bushaltestelle, in unmittelbarer Nähe zu den Brennpunkten oder der Szene, einen Ort zu schaffen, wo alle Fäden zusammenlaufen, wo wir Beratungsmöglichkeiten an einem einzigen Ort schaffen könnten, wo soziales Leben gefördert wird, wo gesellschaftliches, kulturelles Leben für jedermann und jede Altersgruppe möglich ist, und natürlich auch unser geistiges, religiöses Leben liturgisch auch weiterhin gelebt werden kann. Das heißt, es finden auch in Zukunft natürlich weiterhin Gottesdienste hier statt.

Gelebtes Evangelium

Es ist auch eine große Chance für die Kirchengemeinde sich zeitgemäß weiter zu entwickeln, zu zeigen, wie offen, wie gastfreundlich wir sind; und nicht zuletzt ist es eine Chance für die Institution Kirche an sich, denn eine „Gastkirche“ wäre einmal eine Möglichkeit zu zeigen, was Kirche im wahrsten Sinne des Wortes bedeutet, nämlich wertschätzend Nächstenliebe zu leben, hinauszugehen, sich der Probleme der Menschen anzunehmen, sie aufzusuchen, ihnen Hilfe anzubieten. Das ist gelebtes Evangelium! So können wir den Menschen eine Seite der Kirche zeigen, die bisher weniger beachtet wurde, als die negativen Schlagzeilen. Alle können von dieser großartigen Idee nur profitieren. 

 

Danke für Ihre Aufmerksamkeit. 

Elke Scheermesser