Gemeinsam träumen – Liebe sei Tat

Wir möchten Sie zu einer besonderen Entdeckungstour einladen! Nehmen Sie sich eine Auszeit und betrachten das neue Misereor-Hungertuch in aller Ruhe und in all seinen Details. Lassen Sie es auf
sich wirken.
Lassen Sie sich vor allem Zeit, das Bild erst einmal selbst zu „lesen“, bevor Sie sich mit der Lesehilfe weiter unten auseinandersetzen:
Was sehen Sie? Was sticht Ihnen besonders ins Auge? Welche Assoziationen und Emotionen kommen Ihnen beim Betrachten? Was sagt Ihnen das Bild?
Eine kurze Lesehilfe nach Dr. Claudia Kolletzki, Misereor
Das dreiteilige Hungertuch der Künstlerin Konstanze Trommer ist in ihrem Atelier in Erfurt entstanden.
Auf den ersten flüchtigen Blick ein fröhliches Wimmelbild, zeigt die Idylle doch sehr bald Risse und klare Bezüge zu täglichen Nachrichten von Krieg bis Klimakatastrophe, die Zukunft als einen
Ort ohne Hoffnung erscheinen lassen.
Was gibt Kraft für eine andere Sicht auf das Morgen – eine, die inspiriert und Zuversicht schenkt? Im Titel heißt es „Liebe sei Tat“. Liebe scheint gerade weit weg zu sein.
Oder doch nicht?
DIE FOTOS
Die die Grundlage des Hungertuches sind Fotos. Konstanze Trommer hat das Gesamt-Bild als Fotocollage am PC entworfen und auf Leinwand drucken lassen. Die Fotos hat sie anschließend mit Acrylfarben übermalt und verfremdet, an manchen Stellen mit Blattgold versehen. Die Künstlerin hat die Bilder zum Teil bei Misereor ausgesucht: Sie zeigen Kinder aus Misereor-Projekten in Afrika, Lateinamerika und Asien. Andere hat Konstanze Trommer selbst aufgenommen – die Mädchen im Boot sind ihre Enkelinnen.
Die Kinder

Im Mittelpunkt des Hungertuchs stehen dreizehn Kinder: Sie leben – umgeben von Meer – allein auf einer kargen Sandbank ohne Pflanzen.
Was wir nicht wissen: Weshalb ist die bunte Gruppe auf dieser Insel gestrandet? Die Kinder kommen von überallher: Nigeria, Brasilien, Indien, Afghanistan, Europa. Tatkräftig packen sie an und
probieren aus, wie geschwisterliches Miteinander aussehen kann: sie kochen, fischen Kanister aus dem Wasser, sorgen für die Jüngeren und finden Zeit zum Spielen. Alle stehen in Beziehung
zueinander. Niemand bleibt alleine.
Die Frage ist nicht: Woher kommst du? Sondern: Wohin gehen wir gemeinsam?
Der Sturm

Das Bild scheint im Himmel zweigeteilt. Der Horizont links ist himmelblau und ruhig. Von rechts dagegen zieht ein bedrohliches Unwetter heran. Wir wissen nicht: trifft der Tornado die Kinder oder
wird er vorbeiziehen?
Die Szene erinnert an die von Menschen verursachte Veränderung des Klimas: Immer mehr Stürme, Überflutungen und Dürren richten große Schäden an und kosten viele Menschenleben.
Die Insel

Der kahle Sandstreifen ist keine Urlaubsinsel, die geeignet für Kinder wäre. Wir sehen Schönes und Bedrohliches auf kleinstem Raum bei einander.
Und doch legt das Bild Hoffnungsspuren: Es erzählt viele kleine Geschichten von trotziger Zuversicht, die sich der Gleichgültigkeit und Verzweiflung entgegenstemmen.
Da ist das Mädchen aus Afghanistan mit dem schweren Baby auf dem Arm; der Junge, der fröhlich lachend mit dem Lemuren spielt; der Helikopterpilot, den jemand geschickt hat, dem das Schicksal der
Kinder nicht gleichgültig sein mag.
DIE TIERE

Einige Tiere begleiten die Kinder. Delfine umkreisen mit ihren Familien die Insel. Ein Lemur und ein Junge spielen miteinander. Der Storch sitzt auf dem Dach und schaut dem Sturm entgegen. All
dies sind friedliche Tiere.
Der Storch ist Symbol für Geburt und Neuanfang.
Von Delfinen wird erzählt, dass sie Menschen auf dem Meer begleiten. Sie leiden unter dem Mikroplastik im Meer, das sie mit ihrer Nahrung aufnehmen.
Lemuren sind in den Wäldern von Madagaskar zuhause und werden von Holzfällern immer mehr die Enge getrieben.
Das Zelt

In der Mitte der Insel steht ein weißes Zelt, dessen Eingang geöffnet ist. Gold umrandet es wie ein Schutz.
All das erinnert an die Geschichte von Gott, der dem Volk Israel durch die Wüste in einem Zelt voran zog und versicherte: Ich bin da. Diese mobile Behausung nannten die Israeliten „Zelt der
Begegnung“ Gottes mit den Menschen – im Glauben daran, dass Gott auch in verdunkelten Zeiten in unserer Mitte bleibt (vgl. Exodus 29).
Alle sind in das „Zelt der Begegnung“ eingeladen. Zelte bieten ein mobiles Zuhause und auch Geflüchteten vorübergehend Schutz.
Das Kreuz

Drei goldene Streifen an den Rändern des Hungertuches deuten ein Kreuz an. Dieses christliche Zeichen nimmt die Szene in die Mitte und markiert sie als etwas Besonderes.
Die Zeltspitze

Die Künstlerin betont: Allein tatkräftige Liebe, und nicht das Gerede darüber, hilft uns, Krisen zu bewältigen.
Die Zeltspitze ragt in den Himmel wie eine „Antenne der Liebe“. Sie nimmt jeden Notschrei auf und hilft uns, die Sorgen der anderen in Liebe zu hören.
Wir alle sind aufeinander angewiesen. Wenn Krisen kommen, merken wir, dass wir uns ändern müssen. Diesen Weg kann niemand für sich alleine gehen. Das schaffen wir nur, wenn wir uns gegenseitig
helfen, nach vorne zu schauen und Träume und Ideen zu entwickeln.
Oder, wie der römisch-katholischer Befreiungstheologe Felix Wilfred
formuliert hat:
„Um Armut zu überwinden, braucht es Zusammenarbeit und strategisches Denken. Aber das reicht nicht. Es braucht mehr als all dies: Es braucht Liebe!“
KONSTANZE TROMMER ist 1953 in Erfurt geboren, erwarb in Halle ein Diplom in
Flächengestaltung, ist ausgebildete Multimediafachfrau und arbeitete viele Jahre als Flächendruckdesignerin im VEB Modedruck Gera. Seit 1977 ist sie als freischaffende Künstlerin in Erfurt tätig.
Im Stil des Fotorealismus und des magischen Realismus verbindet sie Computerkunst in überzeugender Weise mit einem grafischen und malerischen Gesamtwerk. Ihre meist großformatigen Bilder sind
Anklage und Appell, sie setzen sich kritisch und bisweilen satirisch mit gesellschaftspolitischen und ökologischen Themen auseinander. Sie lenken den Blick aber auch perspektivisch auf eine
glücklichere Zukunft, sofern wir tätig werden und etwas verändern. Für Misereor hat sie das 25. Hungertuch gestaltet.
Eine Welt Essen-Horst e.V.
Kontakt: ewehorst@t-online.de