Das Buch ist 2020 im Verlag Antje Kunstmann erschienen und es gefällt mir ausnehmend gut, gehöre ich doch auch zu denen, die Kunst betrachten, zu verstehen suchen, sich manchmal verständnislos
abwenden.
Kurz gefasst der Inhalt, mit dem das Buch beworben wird: Der Förderverein des Museums Wendevogel erbt das Grundstück neben dem Museum, dort könnte ein moderner Erweiterungsbau entstehen, die Idee
ist, ihn den Werken nur eines Künstlers zu widmen: KD Pratz, von dem das Museum schon früh Werke erstanden hat und neue Werke zum Vorzugspreis erhält. Der Künstler willigt – offensichtlich
geschmeichelt - in einen Besuch des Fördervereins ein, nicht wissend, dass der Besuch die Gegner dieser Entscheidung eines Baus allein für seine Werke umstimmen soll, die Besucher nicht wissend,
dass ein vom Museumsdirektor angekündigter Besuch des Ateliers gar nicht vorgesehen ist. Beides wird beim ersten Treffen zufällig artikuliert – und das Geschehen nimmt seinen oder auch die
Katastrophe ihren Lauf.
Die wenigen Tage des Besuchswochenendes bilden den zeitlichen Rahmen für die Ereignisse: Besuch beim Künstler auf Burg Ernsteck, Streitereien, Besichtigungen und ein Kunsthappening besonderer Art
am Rhein. Am Ende steht kein neues Museum in Frankfurt, sondern anderthalb Jahre später eine große Pratz-Retrospektive, die im Guggenheim Museum in New York durch Dr. Neuhuber im Beisein des
Fördervereins eröffnet wird.
Sehr schnell sieht man beim Lesen überall eine ironisch - witzige Kritik des Kunstbetriebs, ein leises oder auch lautes Lachen über die Mitglieder des Fördervereins des Museums Wendevogel,
ein wissendes Lachen über den Museumsleiter Dr. Neuhuber, ein überhebliches Lachen über den verschrobenen Künstler KD Pratz … Vieles scheint, obwohl so übertrieben gezeichnet, bekannt zu sein.
Einige Namen fallen beim Lesen schon auf, nomen est omen (oder eher das Gegenteil), Magnusson ist dabei wenig subtil vorgegangen. Monique, die breitgesichtige, feiste Winzertochter, Frau Marx,
die feministische Altachtundsechzigerin und kunstaffine, besitzbürgerliche Psychotherapeutin, Constantin, immer noch Consti, der homosexuelle, inzwischen 40jährige Sohn, der die Mutter immer
begleitet, das „Einstecktuch“, 3x geschieden, mit dem aktuellen Bernhardiner und Porsche, das pensionierte Pastorenehepaar Hansen, das sich gewissenhaft in den neuen „Lehrstoff“ Kunst
einarbeitet, das Hotel mit dem Namen „Sprudelhof“, die Bäckerin Erbenheim in zigster Generation und und und..
Ich habe das Buch mit Vergnügen gelesen und auf den nächsten Gag gewartet – des Künstlers oder der (kunst)beflissenen Kunstförderer oder des Kunstverwalters – und überlegt, ob ich mit diesem
Blickwinkel auf die Erzählung wirklich richtig liege.
Ja, es gibt viele Seitenhiebe auf die Vertreter des Bildungs- und Besitzbürgertums, die Kunst fördern, ohne zu verstehen, wie sie auch für den Sportverein, den Tierschutz, den Seemannschor, das
Theater etc. spenden und dafür ein wenig hofiert und gefragt werden wollen, das „Einstecktuch“ ist ein solcher Vertreter, KD Pratz spricht vom „Kasperletheater für privilegierte Langweiler“//
oder „Dieser ganze Kunstbetrieb ist doch nichts als ein Endlager für Leute mit Geld, die sich für zu kultiviert halten, um einfach den Fernseher anzumachen.“
Aber ist es nicht gut, dass es diese Menschen gibt, ist nicht vieles im Bereich der Kunst erst möglich durch deren finanzielles Engagement, von dem viele Menschen profitieren?
Auch der Künstler ist sehr speziell gezeichnet: Sein Name weckt Erinnerungen an einen exzentrischen Künstler mit Großprojekten, sein Wohnort bleibt für Normalsterbliche lange Jahre verschlossen,
es stellt sich die Frage, ob er überhaupt noch kreativ ist, eine Malblockade versteckt?.. – oder durch das Sich - rar - machen Neugierde, Bekanntheit und Preise fördert.
Doch ist dieses Verhalten nicht auch Reaktion auf die Erwartung des Publikums, will dieses nicht Geheimnisse, muss der Künstler sich nicht deutlich vom „normalen“ Menschen unterscheiden, um als
„echter“ Künstler wahrgenommen zu werden? KD Pratz durchschaut das. Nutzt den Ruf der Verschrobenheit, wenn es ihm in den Kram passt, wie das Ende des Buches noch einmal witzig zeigt.
Als wirklich echte Karikatur habe ich den Museumsdirektor Dr. Neuhuber gesehen, der sein Fähnlein nach dem Winde dreht, dessen Ansprachen mit Floskeln, Fremdwörtern und unverständlichen
Beschreibungen angefüllt sind – wie man sie aus Führungen in Museen durchaus kennt, nicht erhellend oder erklärend, zu denen aber alle wissend nicken. Selten gibt es jemanden, der wie im Märchen
„Des Kaisers neue Kleider“ mutig ruft: Er hat ja gar nichts an!.
Das Buch ist sehr amüsant zu lesen, der Spiegel, der dem Leser vorgehalten wird, ist riesengroß. Beim nächsten Mal im Museum nicht nur „schauen“, sondern „sehen“, wie KD Pratz verlangt - und die
Erklärungen der scheinbar Wissenden kritisch hinterfragen!
Barbara Schürmann-Preußler